Alois Brandstetter
Die Mühle
Von dem Sohn eines Müllers, späterem Philologen, Germanisten, Hochschulprofessor in Klagenfurt und Schriftsteller Alois BRANDSTETTER (Jg. 1938) habe ich einige Romane, u.a. Zu Lasten der Briefträger (1974), Die Abtei (1977), Altenehrung (1984), Hier kocht der Wirt (1995) und Die Mühle (1980) mit großem Vergnügen gelesen. Brandstetter erhielt 1984 auch den Wilhelm-Raabe-Preis der Stadt Braunschweig.
Der zuletzt genannte Roman ist ein „Bildungs- und Wasserroman“, in dem ein Müller sein ganz spezielles Vermächtnis seinem Neffen und Nachfolger übermittelt.
Der Roman beginnt mit den Worten mysterium aquae, göttliches Geheimnis des Wassers, um dann schon bald auf die Besonderheiten des Österreichischen Wasserrechts zu berichten, von denen auch der Umbau an der Mühle des Onkels betroffen ist. Der ist der Meinung, in 144 Paragraphen mit hunderten Absätzen und tausenden Unterabsätzen habe man versucht, das Wasser juristisch zu bändigen. Und dann heißt es zum natürlichen Wasserkreislauf:
Das Wasser selbst aber bewege sich nach einem einfachen und ewigen Gesetz seit Jahrmillionen, es sprudle munter aus den Quellen, fließe und ströme, rausche und brause dem Meer zu, verdunste und steige auf, bilde Wolken und regne wieder herab.
Der Neffe berichtet aus seiner Kindheit über seine Beobachtungen am Wehr des Mühlenbaches. Er habe oft am Ufer gestanden, in das Tosen des Wassers hinuntergesehen und den ausdauernden Kampf mit allen den Objekten, die der Bach aufgenommen hatte, beobachtet:
Oft hatte auch ein Brett die stillste Stelle in diesem sonst so nervös brodelnden und wogenden Geviert erreicht und sich für einige Zeit beruhigt. Drehte sich aber das Holz ein wenig und schwamm es mit einem Ende gegen den Wasserfall an der Stauwand, dann wurde es von der Wucht der stürzenden Wasser in die Tiefe gestoßen und in die Wirbel und Strudeln zurückgeschleudert.
In geringerem Ausmaß sind solche Beobachtungen mit kleinen Holzstückchen auch an einigen Stellen Bonner Bäche zu machen, worauf auch bei den Beschreibungen der persönlichen Begehungen hingewiesen wird.
Brandstetter beschreibt weiterhin den Kampf der Gegenstände im Bach nicht nur mit dem Wasser, sondern auch gegeneinander, so Holz gegen Holz, Flasche gegen Flasche. Und er, der Erzähler selbst, habe kleine Klötze in das Wasser geworfen, die von Form und Gestalt erwarten ließen, dass sie sich mit dem Wasser einen interessanten Kampf liefern würden.
Das Thema Gewässerverunreinigung wird am Beispiel der Ager, einem Fluss in Oberösterreich angesprochen, in welchen der Mühlenbach offensichtlich mündet. Dazu äußert sich der Onkel, unberührte Flüsse, also reine Flüsse gebe es heute im europäischen Raum kaum noch. Auch die meisten Bäche seien berührt. Vor Lenzing (Ort und 1838 gegründete Firma, die aus dem Rohstoff Holz Fasern herstellt) und seiner Zellulosefabrik sei die Ager auch schon nicht mehr ganz jungfräulich und unberührt, aber doch noch halbwegs sauber und jungfräulich – nach Lenzing sei sie geschafft. Die heutige Lenzing AG hatte schon eine 1892 gegründete Papierfabrik als Vorläuferin. Der Müller ist empört darüber, was die Fabrikanten und Industriellen mit der Anger treiben würden, was da nach Lenzing fließe, sei nicht mehr ohne weiteres als Wasser zu erkennen.
Auch zur Bekämpfung bzw. Vorbeugung von Überschwemmungen erfährt der Leser zahlreiche Details. Nach einem Hochwasser stellte der Onkel fest, dass das Wasser die Wehrseiten umspült und ausgewaschen, in den anschließenden Wiesengrund Trichter und Schlünde gerissen, sich auch einige unterirdische Um- und Auswege gesuchte hatte:
Der Bach hatte der Mühle selbst das Wasser abgegraben, der Stau war undicht geworden, weil das Wasser durch unsichtbare Kanäle und Gänge im Erdreich abfloß und das Gestautwerden umging…
Die Arbeiten danach bestanden u.a. nach einer Abdichtung der Kanäle und Gänge durch Erde und Lehm in einer neuen Beböschung und Befestigung der Ufer mit Mühlviertler Granit. Es seien schnellwachsende Boschen, Setzlinge von uferfreundlichen und hygrophilen Weiden zu Bepflanzungen verwendet worden. Im Uferverbauen habe der Onkel mit der Zeit eine große Fertigkeit und Geschicklichkeit erlangt.
Brandstetter beschäftigt sich auch mit dem Brückenbau über einen Bach, bzw. er lässt den Onkel seines Erzählers darüber berichten. Brücken über Bäche würden oft ohne die notwendige solide Verankerung und Pilotierung im Untergrund errichtet, um sich die Mühsal und auch Qual mit dem immer ausweichenden Schwemm- und Bachsand abzukürzen oder sogar zu ersparen; sie würden einfach auf Sand gesetzt. Der Onkel kenne Brücken, die ihren Anschlußstraßen an den Ufern davongeschwommen seien, andere hätten sich nicht unmerklich quergestellt.
Der Erzähler schildert, dass er sich mit der Zeit auch selbst umfangreiche Kenntnisse über die Fische und die übrigen Wasserbewohner angeeignet habe. Er beschreibt das Bachwaten im Sommer bis in den Herbst; dadurch sei er selbst zu einem solchen Wasserbewohner geworden. Er habe gewissermaßen mit Fischen und Krebsen Freundschaft geschlossen. Ein wahrer Schrecken aber seien für ihn als Kind der Bachratten gewesen.
Mühlensterben, Mühlentechnik, Wasserrecht sind nicht die einzigen, wenn auch immer wiederkehrenden Themen dieses Romans. Im Klappentext der Taschenbuchausgabe ist u.a. zu lesen:
„Es geht darin um die Mühlen als reale Orte harter Arbeit ebenso wie die Mühle als idyllischer Ort, er geht um Rembrandt und Getreidesorten, um Welterfahrung, Zeitkritik und Mehlqualitäten, um Annäherung an die Vergangenheit und Prognosen für die Zukunft und um viele Lebens- und Mühlenspezifika…“ – Und immer wiederkehrend ist der Bach das Thema von ausführlichen Beschreibungen – sein Wasser und die Wasserkraft.