Hans-Wilhelm Smolik

Wandern mit offenen Augen

Der Autodidakt Hans-Wilhelm SMOLIK (1906-1962), Sohn eines Schumachermeisters, dessen Vater ein leidenschaftlicher Gärtner und Rosenzüchter war, absolvierte eine Lehre als Versicherungskaufmann und daran anschließend auch als Buchdrucker. Von 1927 bis 1933 war er bei einer Krankenversicherung angestellt. 1934 veröffentlichte er sein Buch „Rätsel Mensch“, das wegen „Zersetzung der Rassenlehre des Nationalsozialismus“ von der Reichsschrifttumskammer verboten wurde. Daraufhin empfahl ihm sein Verleger, über naturkundliche Themen zu schreiben, so z.B. Tiergeschichten. Als Soldat im Zweiten Weltkrieg wird er in einem Pferdelazarett eingesetzt, beim Russlandfeldzug im Kaukasus schwer verletzt. Nach der Kriegsgefangenschaft lässt es sich in Ulm nieder. Und 1957 erscheint sein Naturführer Wandern mit offenen Augen, von dem bis 1976 300.000 Exemplare verkauft werden. In dem nach Lebensstätten gegliederten Buch sind die folgenden Abschnitte aus An Quelle und Bach zitiert.

Jäh aus einem Felsentor kann die Quelle schießen, sprudelnd dem moosigen Waldboden entspringen, heimlich aus der Tiefe des Wiesengrundes aufsteigen – immer aber ist uns ihr klarer und kühler Born der Inbegriff der Reinheit, ein Symbol des ursprünglichen und unerschöpflichen Lebens, ein Sinnbild des großen Kräftereigens. Die kleinen Quellen sind es, die Bäche und Flüsse speisen, deren Murmeln und Geplätscher Heiterkeit uns aus den schimmernden Augen der Teiche und Seen entgegenlacht.

Wo undurchlässige Gesteinsschichten das Versickern des Wassers in die Tiefe verhindern, dort brechen sie als Sturzquellen hervor, quellen sie als Tümpelquellen herauf, sickern sie als Sumpfquelle unbemerkt aus der Tiefe.

[Die Beschreibung trifft auch auf die Bäche und Tümpel (Maare) in den Villewäldern zu!]

Gering ist das Pflanzen- und Tierleben unmittelbar am Geburtsort der Sturzquelle, reicher schon dort, wo sie sich erst in einem kleinen Tümpel sammelt, der gemächlich überfließt. Das Quellmoos wiegt seine feinen Ästchen im kalten Wasser, Quellschnecken und Strudelwürmer, kleine Muscheln und Flohkrebse tummeln sich in der kristallklaren Flut. Aber dicht an sie heran drängen sich zahlreiche Moose, Farne und Schachtelhalme, feuchtigkeitsliebende Gräser und Blumen, die dann auch den Rand der Quellbäche säumen und mit ihnen von den Bergen bis in die Täler, von der nassen Wiese bis weit ins Ackerland, vom Sumpf bis zu den Flüssen wandern.

Und je breiter der Bach wird, um so mehr siedeln sich dann auch Büsche und Bäume längs seines Laufes an, um so häufiger blitzen in ihm die silberschuppigen Leiber der Fische, wird er zur Heimat der Muscheln und Krebse, zum Jagdrevier der Wasseramseln, Eisvögel und Stelzen, der Wasserspitzmäuse und Fischottern, wimmelt es in ihm von Kleingetier, von Köcherfliegenlarven, Planarien [= Platt- bzw. Strudelwürmer] und Kriebelmücken.

 

Dieser sehr anschaulichen Schilderung folgen im Buch Beschreibungen der Pflanzen („Der grüne Saum der Quelle“) und der Tiere und abschließend zu diesem Kapitel An Quelle und Bach der Abschnitt „Vom Wirken des Menschen“:

Quelle und Bach im Dienste des Menschen

Schon an Ursprungsort werden viele Quellen und Bäche aufgefangen, in Brunnenkammern geleitet, wenn notwendig, dort gefiltert und gereinigt, um dann in Rohren der nächsten Ortschaft zuzufließen und als Trink- und Gebrauchswasser zu dienen. Fast jedes Dorf hat heute seine eigene Wasserleitung, und nicht nur der allgemeine absinkende Wasserspiegel [!], sondern auch diese Tatsache erklärt die Verminderung der frei sprudelnden Quellen. Größere Ortschaften müssen meist schon mehrere Quellen fassen und ihre Wasser in einem Wasserschloß sammeln, um den Bedarf stillen zu können. Besonders große und ergiebige Quellgebiete aber werden für die Wasserversorgung der Großstädte angezapft und das Wasser dann in Rohrleitungen von oft über 100 Kilometer Länge den Verbrauchern zugeführt.

Bleibt die Quelle selbst ausnahmsweise unberührt, so muß der stürmische Bach dienen, muß Korn- und Ölfrüchte, Steine und Schotter zermahlen, Stämme zerschneiden, Lumpen einstampfen, Porzellanerde mischen, Schmiedehämmer heben und Walzen treiben. Oft wird ihm sein Lauf durch ein einfaches Wehr verbaut, fließt er in gesondert gegrabenen und tiefen Mühlbächen den menschlichen Arbeitsstätten zu, stürzt dort über alte knarrende Wasserräder oder in Turbinen. Bis hoch in die Berge hinauf, ja bis an den Rand der Gletscher rücken kleine und große Elektrizitätswerke mit ihren Sperrmauern und verwandeln die junge Kraft der Gebirgsbäche in Licht und Wärme.

Andere Bäche wieder sind das natürliche Fließband der Forst- und Holzwirtschaft, tragen die gefällten Stämme von den Bergen bis zu den Schneidemühlen im Tal, bis zum Holzlager am Fluß. Im Tal dann speist der Bach unzählige Berieselungsgräben, die sein kostbares Naß zu Feldern und Wiesen führen, füllt er endlich Teiche und Seen und bringt so viel Sand, Schutt und Geröll mit sich, daß Menschenkraft kaum ausreicht, diese Baustoffe zu heben.

(Die Tochter Sabine Smolik-Pfeifer hat dieses Buch noch einmal herausgegeben und freundlicherweise auch die Genehmigung zum Abdruck dieser Abschnitte erteilt – www.smolik-hw.de).