Hugh Nicol

Von den Bergen zum Meer

(aus: Der Mensch und die Mikroben)

Der britische Agrarbiologe und Chemiker Hugh NICOL (1898-1972; ab 1946 Prof. in Glasgow) behandelt in seinem ins Deutsche übersetzten Buch (1956) ein bis heute aktuelles Thema – und im Kapitel VI. zitiert er unter der Überschrift Von den Bergen zum Meer zunächst den bekannten Schriftsteller R. L. Stevenson:

„Eines Abends fragte er den Müller, wohin der Fluß ströme. »Er strömt das Tal hinab«, antwortete dieser, »und treibt mächtig viele Mühlen…und dann gelangt er ins Tiefland und bewässert die Getreidefelder…und am Ende fließt er ins Meer.«

Dieses Zitat stammt aus der Erzählung „Will von der Mühle“ – einer allegorischen Kurzgeschichte (erschienen 1887).

Nicol schrieb daran anschließend u.a.:

Dieses Zitat veranschaulich, was man die Ansicht eines Müller vom Fluß oder Bach nennen könnte. Sie bezieht sich allein auf das Wasser, auf die Zahl der Mühlen, die es treibt und für die es, wie man annimmt, Arbeit schafft. (…)

Die Sicht des Müllers ist praktisch, mag sein auch poetisch; aber sie ist zum Teil falsch, denn in einem Punkt beruht sie auf einem großen Irrtum. Doch wird sie anscheinend kritiklos von vielen übernommen, darunter von den meisten Autoren erd- und länderkundlicher Werke. Nicht weniger müllerhaft ist die Sicht des Dichters, da sie sich auf das Wasser und das, was es leistet, beschränkt.“

Und nach dieser Einführung geht Nicol auf die ökologische Bedeutung von Flüssen, Bächen und Seen ein. Er stellt zunächst fest, dass Flüsse und Bäche mindestens drei Aufgaben erfüllen. Zunächst bezeichnet er sie als „Sauerstoff- und Bodenträger“ – und als wichtigste Funktion nennt er drittens die „Eigenschaft des Wassers und damit der Wasserläufe, die Bodenart und die Folge der biologischen Bodenzonen durch die von ihnen bewirkte Durchlüftung des Erdreichs zu beeinflussen.“

Er beschreibt die Unterschiede zwischen schnell oder langsam fließenden Gewässern, über den Einfluss des im Wasser gelösten Sauerstoffs, „der zum Teil auch durch Wasserpflanzen geliefert wird“, den jeweiligen Gleichgewichtszustand in Bezug auf Gase und Lebewesen als höchst kompliziert, die Oxidation organischer Überreste von Lebewesen und dem Laub sowie aus anderen Quellen, womit er vor allem die Abwässer u.a. von Zuckerfabriken und Molkereien meint. Und dann kommen die Mikroorganismen ins Spiel. Sein Fazit nach einer Frage lautet:

Was ist das Endergebniss all dieser Veränderungen der Lebensverhältnisse, der Menge und Art mehr oder weniger zersetzter organischen Stoffe, der Sauerstoffanreicherug und so fort? …

… Es bildet sich eine Folge von biologischen Zonen, weit auffallender bei verunreinigten Gewässern als bei solchen im Naturzustand, immer aber schnell wechselnd nicht nur längs des Laufs, sondern auch von Seite zu Seite (da die Strömungsgeschwindigkeit und die Turbulenz des Wassers schwanken) und von Oberwasser zu Unterwasser. Wassermikroben, Fische und Pflanzen nehmen alle nach Vermögen an der natürlichen Reinigung des Wassers teil. Fische und Pflanzen werden vielleicht zu Zeiten und stellenweise aus dem Feld geschlagen, aber die Mikroben niemals…

 

Nach diesen grundlegenden, bis heute gültigen Aussagen, führt Nicol Beispiele aus der Geschichte an – vor allem am Beispiel Venedigs, welchen Einfluss das Wasser in der Lagune und deren Veränderungen auf die Entwicklung der Stadt gehabt (und noch heute) hat.